Hommage
Bereits zum zweiten Mal würdigt
eine Hommage im Rahmen von Film+ das Lebenswerk eines deutschen
Editoren, der sich um den Schnitt besonders verdient gemacht
hat. Nach Klaus Dudenhöfer im letzten Jahr ehrt Film+
in diesem Jahr die Editorin Brigitte
Kirsche, deren kreative Prägung besonders für
den Dokumentarfilmschnitt richtungsweisend war:
Zwischen Entdeckergeist und Autorschaft –
die Ausnahmeeditorin Brigitte Kirsche
Brigitte
Kirsches erste, in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Eberhard
Fechner entstandenen Filme haben Fernsehgeschichte geschrieben.
Ihr schon 1969 mit „Nachrede auf Klara Heydebreck“
entwickelter Stil revolutionierte den Dokumentarfilm: Weitgehend
ohne Kommentar, ohne die bis dato bei Interviews üblichen
eingeschnittenen Zwischenfragen erzählen Menschen eine
Geschichte, als säßen sie um einen Tisch vereint
und nähmen sich gegenseitig das Wort aus dem Mund –
ein Eindruck, der allein durch die Montage entsteht. Die dargestellten
Geschichten bekommen durch Kirsches Schnitt plötzlich
Geschwindigkeit, erhalten einen Eigenwert, eine gänzlich
neue Unmittelbarkeit. Der Zuschauer selbst wird zum Detektiv,
der das Leben der Personen erforscht und sich nach und nach
sein eigenes Bild machen kann.
Mit Liebe zum Detail und viel
Gefühl für den Rhythmus der jeweiligen Inhalte entstand
so in zahlreichen Dokumentationen ein vielschichtiges Bild
der Geschichte des 20. Jahrhunderts, erzählt von den
Betroffenen selbst und dialektisch zu einem Gesamtpanorama
montiert. Besonders der Erzählton also wurde von Kirsches
Montagemethode beeinflußt - die Poesie hielt Einzug
in die Welt der Wirklichkeit, man näherte sich dem Geheimnis
eines Menschen mit den Mitteln des magischen Realismus.
Die besondere Methode der Montagekunst
des kreativen Regie-/Editoren-Duos Fechner/Kirsche entstand
vor allem aufgrund des ungewöhnlichen Arbeitsablaufs
der ersten Fechnerfilme. Denn bei diesen dokumentarischen
Bestandsaufnahmen aus dem Alltagsleben der Deutschen wurde
bereits der auf eine Anfangsidee folgende Rechercheprozeß
ganz unmittelbar gedreht. Auf dieser Basis fand die schriftstellerische
Tätigkeit dann letztlich im Schneideraum statt, und die
Editorin wurde neben dem Regisseur zur zweiten Autorin des
Films. In vielen Fällen entdeckte sogar erst ihr frischer,
unverbrauchter Blick auf die enormen Mengen gedrehten Materials
den Film, der er eigentlich sein sollte.
Nachdem zunächst die innovative
Schnittweise Brigitte Kirsches noch verschiedentlich als „Hals-Nasen-Ohren-Film“
diffamiert worden war, stellte sich schnell heraus, daß
das Publikum diese neue Art des dokumentarischen Erzählens
liebte und auch viele nachfolgenden Filmemacher davon regelrecht
enthusiasmiert waren und Kirsches Stil adaptierten oder –
wie z.B. Heinrich Breloer mit dem Doku-Drama – für
sich weiterentwickelten. Aus den anfänglichen Experimenten
im Schneideraum war eine Schule der Montagekunst geworden.
Doch Brigitte Kirsches bemerkenswerte
Editorenleistung endet keineswegs mit Abbruch der intensiven
Zusammenarbeit mit dem 1992 verstorbenen Regisseur Eberhard
Fechner. Neben weiteren Dokumentationen, z.B. über die
„Befreiung aus der Rosenstraße“ (1994),
editierte sie auch fiktionale Kinostoffe und arbeitete mit
Regisseuren von Dieter Wedel bis Janek Rieke zusammen.
Brigitte Kirsche wird im Anschluß
an die Vorführung des filmischen Portraits ihrer Zusammenarbeit
mit Fechner »Schnitt
– Der Regisseur und die Cutterin« und den
von ihr geschnittenen Film »Im
Damenstift« am Donnerstag, den 20.11.03, ab 13.00
Uhr in einem Publikumsgespräch Aufschluß geben
über Hintergrund und Modus ihres langjährigen Schaffens,
von dem im Rahmen von Film+ in einer vierteiligen Filmreihe
exemplarische Auszüge gezeigt werden.
Aber auch die Teilnehmer des
diesjährigen Nachwuchsforums
werden vom Erfahrungsreichtum Brigitte Kirsches profitieren:
Im Rahmen ihres Workshops steht die Geehrte den Jungeditoren
im Anschluß an die Vorführung des von ihr geschnittenen
Kinospielfilms „Härtetest“
für ein ausgiebiges Hintergrundgespräch zur Verfügung.
Aus den Händen des Bundesverbandes
Filmschnitt erhält Brigitte Kirsche im feierlichen Rahmen
der Schnitt Preis Verleihung und der Vergabe der Jahresfilmprogramm-Prämien
der Filmstiftung NRW am Donnerstag, den 20.11. eine besondere
Ehrung.
Die Hommage-Veranstaltungen
- Mittwoch, 19.11., 12.00 Uhr
Die
Comedian Harmonists – Sechs Lebensläufe
(D 1976. R: Eberhard Fechner)
- Donnerstag, 20.11., 13.00 Uhr
Der
Regisseur und die Cutterin
(D 2003. R: Sara Fruchtmann, Konstanze Radziwill)
- Donnerstag, 20.11., 14.00 Uhr
Im Damenstift
(D 1984. R: Eberhard Fechner)
mit anschließendem Publikumsgespräch
- Freitag, 21.11., 12.00 Uhr
Härtetest
(D 1997. R: Janek Rieke)
- Freitag, 21.11., 12.00 Uhr
Hintergrundgespräch mit Brigitte Kirsche
im Rahmen des Nachwuchsworkshops
Karten für die Specialscreenings
und das Publikumsgespräch gibt es ab November bei der
Hotline des OFF Broadway (0221 – 232418).
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